Ich bin doch mehr als nur meine Blutwerte
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31 March 2023
Hallo, meine Name ist Clair Willcocks, ich bin 28 Jahre alt und die PKU-Bloggerin von Galen Medical Nutrition. Ich habe eine klassische Phenylketonurie (PKU), die bereits 8 Tage nach meiner Geburt diagnostiziert wurde. Ich kann pro Tag 250 mg Phe (Phenylalanin) essen und nehme derzeit 6 Mal täglich das Eiweiß-Supplement PKU EASY Microtabs.
Ich habe schon früher über PKU-Bluttests gesprochen – wie frustrierend es sein kann, auf die Ergebnisse warten zu müssen und wie rückständig sich alles anfühlt im Vergleich mit anderen ernährungsbedingten Erkrankungen. So bewertet man bei Diabetes zum Beispiel in der Regel seine Blutspiegel und entscheidet dann, was man isst. Man isst nicht zuerst und bewertet dann hinterher anhand der Blutspiegel, wie es einem damit geht.
Aber neben dem körperlichen Kampf, eine Diät einzuhalten, damit meine Blutwerte niedrig bleiben, gibt es auch noch jedes Mal, wenn ich meine Blutwerte erhalte, den emotionalen Kampf in meinem Kopf.
Einen ganzen Monat lang befolge ich buchstabengetreu meine Diät, halte alles fest, was ich esse, schreibe auf, wann ich alle meine Ersatzpräparate nehme, meide Fast Food usw. Wenn ich also meine monatlichen Blutproben einsende und dann Ergebnisse erhalte, die viel höher sind, als ich dachte und eventuell sogar jenseits der empfohlenen Höchstwerte, dann kann das ganz schön niederschmetternd sein.
Es kann mich so aus der Fassung bringen, dass ich nur noch weinen und schreien möchte: „Wozu das alles?!“, um mir dann ein riesiges Fast-Food-Menü zu bestellen und all meinen Kummer wegzuessen (Wobei natürlich klar ist, dass das meine Werte weiter in die Höhe treibt.). Ich weiß ja, dass leider nicht nur ich so etwas erlebe, es passiert uns allen mal. Um aus ‚Die Schöne und das Biest‘ zu zitieren: es ist eine „Geschichte so alt wie die Zeit“, soweit es die PKU betrifft.
Früher – Lügen
Als Teenager von etwa 15-17 Jahren wollte ich nur mein Leben richtig leben. Ich büffelte für meinen Schulabschluss, ging aufs College, arbeitete in einem Wohltätigkeitsladen, versuchte, Beziehungen zu pflegen und ganz allgemein eben mit dem Leben voranzukommen. Ich wollte mit bei meinen Freunden gut ankommen und mit ihnen etwas unternehmen oder in Ferien fahren; also aß ich, was immer ich wollte, und die negativen Effekte waren mir egal.
Auf dem College ließ ich alle Ernährungsroutinen sausen. Ich konnte kaum die Eiweiß-Drinks hinunter kriegen, und hatte Mühe mit meiner Diät. Mein Gehirn war träge. Ich musste mich anstrengen, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten und sah, wie sich die nicht eingenommenen Drinks auftürmten.
Mir war klar, dass ich den Überblick verloren hatte, und ich brauchte keine Bestätigung von Diätassistenten um zu wissen, dass meine Blutwerte hoch waren. Aber es war mir egal. Das war eben der Preis für ein ‚normales‘ Leben. Und diese Emotionen kommen noch zu all diesen Pubertätshormonen dazu, die in Deinem Blut kreisen und Dir sagen: ‚Es geht um Dich gegen den Rest der Welt‘, und dann Du fühlst Dich auch noch überwältigt von Studien- oder Beziehungsproblemen. Die Bluttest-Ergebnisse, die ich erhielt, bewiesen nur, was ich schon wusste: Ich konnte der PKU nicht entkommen und das, was ich tat, hatte Folgen. Die hohen Werte sagten mir, dass ich bei der PKU versagte und auch in meinem Leben scheiterte.
Und nicht nur das – aus irgendeinem Grund hatte ich den dringenden Verdacht, dass meine Diätassistenten über mich urteilten. Wenn meine Werte hoch waren, fragten sie mich, warum, und ob sie etwas für mich tun könnten? In meiner Vorstellung wussten sie, dass ich mich nicht an meine Diät hielt, und ich wusste, dass sie das wussten und wütend auf mich waren. Ich war wütend, weil sie sich ein Urteil erlaubten und nicht wissen konnten, was ich durchmachte. Ich mühte mich mit dieser Diät jeden Tag auf allen Ebenen ab, und sie sahen mich nur einmal alle 6 Monate/ pro Jahr. Wie konnten sie also helfen bzw. wie konnten sie überhaupt verstehen, wie das ist?
Schließlich kam diese Angst jedes Mal hoch, wenn ich die Bluttests machte. Ich wusste, dass ich mich nicht an die Diät hielt, also würden die Blutwerte hoch sein, und das hielt mich völlig davon ab, die Bluttests überhaupt zu machen. Es schien, als ob die hohen Ergebnisse einfach unvermeidlich waren, und ich wollte vom Diätassistenten keine E-Mail bekommen, in der er mich deswegen zur Rede stellte. Ich schämte mich – weil ich meine Diät nicht gut machte und weil das durch die Blutergebnisse für alle sichtbar war.
Das Problem dabei war, dass ich dadurch – ohne es zu merken – monatelang überhaupt keine Bluttests machte. Bei meinem nächsten Kliniktermin fragten mich die Ernährungsexperten, warum meine Blutproben nicht kamen, sodass meine Ärzte überhaupt nicht wussten, wie sich mein Ernährungsplan auswirkte. Wenn ich zur Untersuchung kam, zweifelten sie an der Wirkung, boten mir Hilfe an und der Facharzt stellte die übliche Frage: „Wie geht’s mit der Diät?. Ich konnte diese Frage nicht ehrlich beantworten, weil es überhaupt nicht gut ging. Um die Wahrheit zu sagen, es fühlte sich schon verkehrt an, überhaupt gefragt zu werden; denn wie kann Dein Alltag, können Deine emotionalen, geistigen und körperlichen Kämpfe mit einer Stoffwechselkrankheit in einer einzigen Antwort bzw. in einem 15-minütigen Termin beim Arzt zusammengefasst werden?
Sie erzählten mir Sechzehnjährigen: „Du brauchst nur Deine Drinks und musst Deine Diät befolgen, dann sinken Deine Werte schon wieder.“ Es ist so frustrierend, das wieder und wieder zu hören, als ob es „so einfach“ wäre meine Ernährung unter Kontrolle zu bringen und meine Drinks einzunehmen. Ich kriegte es immer noch nicht hin, und dachte auch, dass ich nicht aufrichtig zu meinem Diätassistenten oder zum Arzt sein konnte, denn ich schämte mich. Daher antwortete ich immer nur: „Mir geht’s gut, die Diät ist in Ordnung.“
Der Teenager in mir fand, dass ich alles tat, was ich konnte, um die Diät einzuhalten (jedenfalls soweit ich es wollte), aber ich steckte eigentlich nur den Kopf in den Sand und ignorierte meine Probleme. Noch schlimmer war, dass ich nicht wusste, wie ich um Hilfe bitten sollte und deshalb dachte: „Ich brauch’s ja gar nicht erst zu versuchen? Ich könnte auch einfach essen, was ich will, denn meine Werte wären so oder so hoch?“
Jetzt – Die Wahrheit
Die Wahrheit ist, dass meine Diätassistenten und Ärzte nicht wussten, was ich durchmachte, weil ich es ihnen nicht sagte. Ich bat sie nicht um Hilfe, weil ich nicht dachte, dass sie mich verstehen oder mir helfen konnten. Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich schließlich ehrlich war und sagte: „Wissen Sie, ich habe wirklich Probleme und ich weiß nicht, was ich machen soll“, und mein Diätassistent und ich setzten uns zusammen hin und gingen die Diät durch um zu sehen, was wir ändern könnten.
Je offener ich mit den Diätassistenten sprach, umso besser konnten sie mir helfen. Ob es nun darum ging, eine Woche lang ein Ernährungstagebuch zu führen, um zu sehen, was sich ändern ließ, mir zu helfen, die diätetischen Nahrungsmittel von meinem Hausarzt zu bekommen, die ich brauchte, mir die neuesten Diätprodukte zum Ausprobieren zu schicken oder mich einfach regelmäßig anzurufen, um zu sehen, wie es mir ging. Ich habe sie sogar gefragt, ob es dabei hilft, die Blutwerte zu senken, wenn ich häufiger Bluttests mache, und sie meinten, das wäre prima!
Es stellte sich heraus, dass sie mich nicht wegen meiner Blutwerte verurteilten und dachten, dass ich ‚in meinem Leben scheiterte‘, sie behielten lediglich meine Gesundheit im Auge! Ich darf nicht vergessen, dass der einzige Hinweis, den meine Diätassistenten/Ärzte auf meine Ernährung haben, meine Blutwerte sind. Wenn sie ausschlagen und anhaltend zu hoch bleiben, kann das bedeuten, dass etwas richtig schief läuft und etwas getan werden muss, aber hinter ihren Anrufen und E-Mails steckt keinerlei Wertung.
Ja, ein regelmäßigeres Testsystem wäre hilfreich; ein Testgerät für zu Hause wäre sogar noch besser, weil wir dann am Ort des Geschehens testen könnten. Vielleicht gibt es für Diätassistenten und Ärzte auch bessere Methoden, ein Gespräch zu eröffnen, sodass es zu einem ehrlicheren Austausch mit den Patienten kommt. In der Zwischenzeit ist es für mich wichtig, daran zu denken, dass genau wie die Gewichtsangabe auf einer Waage nicht gleichbedeutend ist mit meiner körperlichen Form, dem Typ oder wie ‚gesund‘ ich bin, auch die monatlichen Bluttests nur eine Ziffer, ein Durchschnittswert meines Befindens sind; sie stehen nicht für mein gesamtes PKU-Leben.
Genau wie beim Gewicht kann ein hoher oder niedriger Wert von vielen Faktoren abhängen. Und wenn der Wert hoch bleibt, dann muss ich mit meinem Diätassistenten für meine eigene Gesundheit herausfinden, wie der Wert zu verbessern ist. Vielleicht ist der hohe Wert eine einmalige Entgleisung, aber wenn nicht? Was, wenn ich ahnungslos etwas esse/trinke, von dem ich nicht weiß, dass es hoch eiweißhaltig ist? Was, wenn ich die völlig falschen Körperübungen mache? Was, wenn ich ohne es zu merken eine Infektion habe?
Ich habe gute und schlechte Monate, genau wie man gute und schlechte Tage hat; und wie immer dreht es sich darum, das richtige Gleichgewicht zwischen dem zu finden, was für mich funktioniert und gleichzeitig auf meine Gesundheit zu achten. Wenn meine Werte diesen Monat nicht so toll sind (selbst wenn ich dachte, sie wären gut!), ist das nicht das Ende der Welt. Ich werde es im nächsten Monat eben wieder versuchen! Es ist einfach ein weiterer Teil meines PKU-Lebens, der erledigt werden muss, damit ich gesund bleibe. Die Werte stehen nicht für mein gesamtes Leben oder für den gesamten PKU-Komplex.
Wenn ich zu der jüngeren Clair zurückgehen könnte, würde ich ihr sagen, dass es okay ist, dass diese Diät wirklich schwer ist! Aber Du bist nicht allein. Es gibt immer Leute, die helfen können, Du musst sie nur fragen. Du musst Dich nicht selbst einsam machen. Natürlich können die Ärzte nicht wirklich wissen, wie es ist, eine Stoffwechselkrankheit zu haben, aber das heißt nicht, dass sie nicht helfen können.
Es sind nicht die Werte, die mich ausmachen, sondern wie ich reagiere und mit ihnen umgehe