Wiedereinstieg in die Diät
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22 January 2024
Hallo, meine Name ist Clair Willcocks, ich bin 29 Jahre alt und die PKU-Bloggerin von Galen Medical Nutrition. Ich habe eine klassische Phenylketonurie (PKU), die bereits 8 Tage nach meiner Geburt diagnostiziert wurde. Ich kann pro Tag 250 mg Phe (Phenylalanin) essen und nehme derzeit 6 Mal täglich das Eiweiß-Supplement PKU EASY Microtabs.
Eine Diät wieder aufzunehmen, gehört zu den schwersten aber wichtigsten Entscheidungen, die ich je für mich selbst und für mein körperliches wie geistiges Wohlbefinden getroffen habe. Der Gedanke, nach der Freiheit der diätlosen Zeit zu der strengen Diät zurückzukehren, sich wieder all den Einschränkungen auszuliefern und wieder zu lernen, wie das mit meiner Diät eigentlich ging…. Wie habe ich das also geschafft?
Mit den Gefühlen fertigwerden
Die Abwärtsspirale, als ich die Diät aufgab, begann mit den Substitutions-Drinks. Ich konnte sie einfach nicht herunterbringen. Und es war nicht nur der schlechte Geschmack, die Konsistenz oder der Geruch, weswegen ich sie wegließ bzw. mit einem oder zwei am Tag ‘auskam’, es war auch die gefühlsmäßige Barriere, eine Mauer, die sich jedes Mal vor mir auftürmte, wenn ich sie trank: Diese drei Drinks am Tag machten mich für immer ‘anders’, die PKU bliebe mir ein Leben lang erhalten und dann die Erinnerung an die Eltern und ihr dauerndes: “Komm, trink schön, jetzt trink schon.” Ich vertat all meine kostbare Energie mit dem Versuch, diese Mauer jedes Mal einzureißen, wenn ich so einen Drink zu mir nehmen musste, aber am nächsten Tag war sie wieder da. Sie bedeutete, dass ich eine Stunde oder sogar viele Stunden brauchte, um einen Drink auszutrinken; und das hieß, dass er nun warm und noch ungenießbarer war. Und da haben wir von den beiden anderen noch gar nicht gesprochen, die der Tag für mich noch bereithielt!
Es war mein Vater, der einen Weg fand, die Mauer einzureißen, mich dazu zu bekommen, wenigstens wieder ein Minimum zu bewältigen, und am allerwichtigsten: die Drinks irgendwie herunterzukriegen. Er schlug vor, dass ich mir einen Countdown von 30 Sekunden setzte, und in der Zeit so viel trank, wie ich schaffte. Keine Emotionen, kein langes Nachdenken, einfach trinken. Wenn er nach 30 Sekunden noch nicht ausgetrunken war, konnte ich den Rest wegkippen und es beim nächsten Mal erneut versuchen. Es war für mich wie ein Schock, aber es funktionierte! Vermutlich war es für mein Gehirn wie eine “Friss oder stirb”-Taktik. Meine Konzentration auf die tickende Uhr ließ mich die Gefühle und den Schmerz dahinter vergessen. Ich machte es einfach immer wieder, bis es eine emotionslose Gewohnheit war wie Zähne putzen oder ein Deo zu benutzen. Ich bin immer noch nicht perfekt, manchmal baut sich die Mauer wieder auf, vor allem wenn ich müde bin oder einen harten Tag hatte. Aber nun weiß ich wenigstens, dass ich’s durchstehen kann.
Mit Nahrungsmitteln und Kochen war es dasselbe. Rezepte bei meinem Hausarzt zu bestellen und Lebensmittel zu kochen und zu wiegen, erinnerte mich auch daran, dass die PKU immer ein Teil von mir selbst sein würde. Besonders das Abwiegen meines Essens machte mir klar, wie eingeschränkt meine Diät war. In der Ernährung drehte sich alles darum, in winzigen Schritten zu gesünderem Essen zu kommen. Es ging nicht darum, dass ich sofort eine ganze vegane Paella kochen konnte, nicht um den Versuch, jeden Abend unbedingt einen Braten auf den Tisch zu bringen; es ging nur um kleine Fortschritte. Mich der Herausforderung zu stellen, eine völlig substitutionsfreie Mahlzeit zu kochen, meine Substitutionssnacks durch Snacks zum freien Verzehr aus meinen verordneten Lebensmitteln zu ersetzen, bei denen ich mich nicht um die Gefühle hinter dem Abwiegen und-messen sorgen musste.
Wie immer waren die Sozialen Medien ein Riesendruck. Ich sah Bilder von eiweißarmen Pasteten, Risottos und sautiertem Gemüse, und schon ging’s los: “Oh Gott, genau das müsste ich machen!”, aber ich merkte, dass ich diesen Druck aus meinem Kopf kriegen musste und dass die Tatsache, dass andere mir in ihrer Diät voraus war, nicht bedeutete, dass ich in meiner versagte. Ich sagte mir, wie man es immer bei Sozialen Medien tun soll, dass ich gut mit mir umgehen und mir Zeit geben sollte, auch so weit zu kommen. Es ging eben wieder um die kleinen Schritte, mit denen man über die Gefühlsbarrieren kommt.
Und nun die Praxis
Eine Veränderung habe ich vorgenommen, die mir geholfen hat, Druck wegzunehmen: Ich nehme mir Zeit herauszufinden, welches Gemüse ich gerne kochen UND essen möchte. Ich gebe zu, dass ich zuvor wiederholt in dieselben gefühlsgesteuerten Fallen getappt bin. Ich hatte dann das Einkaufswägelchen voll mit Gemüse (Kopfsalat, Kohl, Möhren, Gurken, Mais, Tomaten, rote Bete, Kohlrübe, Kartoffeln, Paprika, Zwiebeln…Grrrr!) und verwendete schließlich nichts davon. Ich merkte nicht, dass es einfach zu viel und ich überwältigt war. Natürlich hätte ich das nicht alles aufessen können, bevor es dann schlecht wurde, und musste dann mit der Schuld fertig werden, dass ich Lebensmittel wegschmiss, die tadellos gewesen wären, wenn ich sie zum Kochen verwendet hätte! Das passierte nun fast jede Woche, und ich wunderte mich dann, warum ich immer so ungehalten war. Stattdessen stellte ich mir nun die Aufgabe, zwei oder drei Gemüse zu finden, die für jedes Gericht verwendet werden konnten, und basta! Im Winter, wenn wärmere Gerichte anstehen wie Pasta- oder Curry-Mahlzeiten, kaufte ich Paprika, Zucchini und Rettich. Im Sommer, wenn mir der Sinn nach Salaten stand, waren es Gurken, Tomaten und Kopfsalat. Meine Einkäufe wurden nun davon geleitet, worauf ich in dieser Woche Lust hatte, und nicht davon ‘was ich essen sollte’.
Ich bat meine Ernährungsberaterin, mir dabei zu helfen, dass ich meine tägliche Proteinzufuhr wieder unter Kontrolle bekam. Sie forderte mich auf, ein ehrliches Ernährungstagebuch zu führen und genau anzugeben, was ich aß. Dabei betonte sie, dass sie nicht über mich urteilen oder mich tadeln würde, sondern einfach zuerst wissen müsse, woran sie war, was meine Wiederaufnahme der Diät betraf. Was mich bei diesem Tagebuch am meisten schockierte, war die Erkenntnis, dass die Snacks, die ich mir gegönnt hatte, bei meinem Substitutionsbedarf den größten Schaden anrichteten! Ob ich sie mir für den Lunch eingepackt hatte oder auf der Arbeit aus dem Automaten zog, Ich hatte gedacht, das wäre in Ordnung, weil sie ‘nur’ 1, 1,5 oder 2 Substitutionen ausmachten. Aber es stellte sich heraus, dass sich die Snacks bald aufaddierten, wenn man mehrere am Tag zu sich nahm. Es stellte sich heraus, dass ich anstatt der 5 Substitutionen, die es am Tag sein sollten, mindestens 9-10 hatte.
Ich beschloss also, diese ‘heftigeren’ Snacks aus meinem Leben zu verbannen. Ich ersetzte eine Sorte Chips mit 1,5 Substitutionen durch eine Sorte mit nur halb so vielen Substitutionen. Ich ersetzte Schokoladenriegel durch Obst oder Fruchtsnacks, damit meine Lunch-Tüten substitutionsfrei waren; ich befreite das Haus von allem, was einzeln über 1 g Protein aufwies. Wie gut ich auch immer war oder glaubte, sein zu können, ich wusste, ich hatte keinerlei Selbstkontrolle, wenn sich in einem Schrank z. B. Schokoladenküchlein wie ‚Mini Rolls‘ befanden oder ein 6er-Pack Chips in den Schubladen meines Arbeitsplatzes wartete. Ich könnte mich durch alle von ihnen durchfuttern, ohne darüber nachzudenken. Aber Protein, das ich nicht im Hause habe, kann ich auch nicht essen! Also musste ich nur alles loswerden. Eine große Hilfe war dabei die NSPKU-Website, die eine tolle Quelle für alle Arten von Supermarkt-Lebensmitteln ist, die völlig proteinfrei sind und die Produkte mit höherem Proteingehalt ersetzen können.
Was die Ergänzungspräparate anging, bat ich wieder mein Team von Ernährungsberater*innen, mir so viele Muster von so vielen unterschiedlichen Firmen wie möglich zum Ausprobieren zuzusenden. Es ist unglaublich, wieviel sich in der Welt der PKU-Ergänzungspräparate in den letzten Jahren getan hat. Es lohnt sich also immer, so viele Muster wie möglich auszuprobieren und zu sehen, ob etwas Neues herausgebracht wurde, auf das Du schon lange gewartet hast und das viel besser sein könnte als das Produkt, das Du seit Jahrzehnten verwendest! Auch online zu gucken, was andere einnehmen und empfehlen, kann hilfreich sein. Ich weiß, dass viele meiner Freunde zu PKU Easy Microtabs gewechselt sind, weil sie von mir davon gehört haben, bevor ihre Ernährungsberater es überhaupt angesprochen hatten. Erforscht alles, was es an Neuem da draußen gibt, ob es Ergänzungspräparate sind oder Nahrungsmittel!
Externe Faktoren
Dass ich meine Diät sausen ließ, lag nicht nur daran, wie schwierig das Leben mit der PKU war, sondern auch an den Veränderungen in meinem Leben. Ich sehe nun, dass mir mit 16, als ich die weiterführende Schule abschloss, eine ganze Welt von Wahlmöglichkeiten begegnete: Ich konnte wählen, welchen Beruf ich wollte, ob ich zur Universität oder einer Fachhochschule gehen wollte, welche Kurse ich belegen wollte, mit welchen Freunden ich in Kontakt bleiben wollte. Ich musste einfach dieses überwältigende Gefühl haben, dass ich jede Komponente meiner Zukunft wählen konnte, nur nicht den Teil von mir, der PKU hieß. Dieser Teil fühlte sich an, als ob er für den Rest meines Lebens dieselbe eingeschränkte Ernährung und Welt bedeuten würde. Das war für meinen ‘unreifen’ 16-jährigen Geist zu viel.
Auch die wachsamen Augen meiner Mutter waren nicht mehr da, denn ich verbrachte mehr Zeit mit meinem Freund und der Clique. Zu diesen Freunden war ich nicht ganz ehrlich, was den Umfang der Hilfe anging, die ich für meine PKU brauchte und dass ich das Gefühl hatte, ich könne ungeschoren davon kommen, wenn ich die Diät sausen ließ. Als mein Freund und ich mit 20 zusammenzogen, verstärkte sich dies, denn nun hatte ich überhaupt keine Eltern mehr, die auf mich aufpassten. Wie ich schon in meinem vorherigen Blog ‘Vom Erwachsenwerden” sagte, wollte ich einfach ich selbst sein und nicht in dieser Zwangswelt von Essen und Trinken, Abwiegen und Kochen leben.
Als ich mich mit 25 für den Wiedereinstieg in die Diät entschied, fing ich an, auch die positiven Wirkungen der Diät zu sehen. Mein Kopf war nicht länger vernebelt, ich war nicht mehr so überempfindlich und ich nahm allmählich ab (nachdem ich die Diät aufgegeben hatte, nahm ich in weniger als einem Jahr knapp 13 kg zu). Die unheimlicheren Effekte wie verwaschene Sprache, Konzentrationsmangel und Fehler am Arbeitsplatz wurden weniger. Nach und nach begriff ich, dass diätfrei zu leben diese Symptome nicht wert war. Selbst wenn ich dachte, dass das Leben ohne Diät mir nichts anhaben konnte, wusste ich, dass es das tief drinnen doch tat.
Meine Freunde und Familie konnten sehen, wieviel besser es mir mit mir ging. Der Nebel, der andauernd über meinem Kopf lag, lichtete sich schließlich, und das half mir einzusehen, dass die Diät – wie schwer sie auch war – es wert war, und dass ich mich von der PKU nicht unterkriegen lassen musste, denn heute gibt es so viel Optionen für mich und andere PKUler. Ich fand gute Produkte, die die ungesunden ersetzen konnten; meine Welt war also nicht ganz so begrenzt. Meine Freunde wollten mir helfen und mich auf alle erdenkliche Weise unterstützen, ob es um Snacks bei ihnen zu Hause ging oder darum, bestimmte Restaurants zu finden, von denen sie wussten, dass ich dort problemlos aus vielen Dingen wählen konnte.
In großen Kettenrestaurants gibt es inzwischen vegane Menüs; Supermärkte bieten Milchprodukte auf Kokosnuss-Basis als eigene Marken an. Es gibt so viele PKU-Firmen mit ganzen Produktpaletten an Nahrungs- und Ergänzungsmitteln und wenn die Zuckersteuer uns auch bei manchen alkoholfreien Getränken ausbremst, so haben Supermärkte bei ihren eigenen Getränkemarken und gesundheitsbewusste Getränkehersteller doch begonnen, weniger synthetische Süßstoffe zu verwenden. Die Welt da draußen ist riesig für Menschen mit speziellen Ernährungsanforderungen.
Schlussfolgerung
Es ist richtig schwierig, die ganze Gefühlslast und den Konflikt loszuwerden, den ich empfunden habe, wenn es ums Kochen und meine Ergänzungspräparate ging. Aber ich weiß jetzt, dass es das wert ist, um sich gesünder und glücklicher zu fühlen und zu spüren, dass man sein Leben in der Hand hat. Ich weiß jetzt, dass es nicht die Diät ist, die mich kontrolliert, sondern dass ich meine Diät kontrolliere. Meine Liebsten sagen, dass sie den Unterschied erkennen können, wenn ich meine Diät einhalte, weil ich dann weniger angespannt und gesünder wirke, und ich weiß, dass ich das auch selbst erkenne. Darum stelle ich inzwischen sicher, dass mein Mann und meine Freunde mir helfen; ich bitte sie, dass wir irgendwo zum Essen gehen, wo’s für mich geeigneter ist, dass sie etwas im Haus haben, das ich essen kann, wenn ich über Nacht bleibe. Ich bitte sie, mich an meine Drinks zu erinnern und nachzuhaken, ob ich meine Trockenblut-Proben eingeschickt habe; gute Freunde wollen helfen, denn sie möchten, dass Du glücklich und gesund bist..
So viel unnötigen Druck Soziale Medien auf uns im Hinblick auf eine ‘Bilderbuchdiät’ auch ausüben mögen, sie können andererseits unwahrscheinlich nützlich sein. Wie ich aus persönlicher Erfahrung weiß, ist die online PKU-Community so unglaublich hilfsbereit, die Ideen, Rezepte und Unterstützung, die sie Dir urteilsfrei überlassen, sind so kostbar. Auch die Website der NSPKU ist unbezahlbar, denn sie bietet großartige Informationsquellen, und es sind Ernährungsberater für uns da, die uns helfen wollen, den Kampf um den Wiedereinstieg in die Diät zu meistern. Ich bin stolz darauf, sagen zu können, dass jetzt, wo ich wieder auf Diät bin, ich nicht nur überlebe, sondern es mir bestens geht. Ich bin mir zwar sicher, dass in Zukunft noch weitere Kämpfe auf mich zukommen, dass ich noch mehr Schlachten zu schlagen und Mauern einzureißen haben werde, aber ich fühle mich besser darauf vorbereitet als je zuvor.